2020-11-08
Die Lage angesichts der Corona-Pandemie ist gerade wieder dabei sich zu verschärfen — wie und wo erleben Sie diese Zeit?
Die Auftritte, die ich im Juni in Italien hat-te, wurden abgesagt. Statt nach Italien zu gehen, entschieden wir uns, in Malaga zu bleiben, da das Klima dort milder ist als in der Schweiz, wo wir wohnen. Und als wir daran dachten, nach Hause in die Schweiz zu gehen, verfügten mehrere weitere Länder eine 14-tägige Quarantäne für alle, die aus Spanien zu ihnen kamen. Also mussten wir auf unbestimmte Zeit hier bleiben, denn wir sind nicht bereit, 14 Tage zu Hause eingesperrt zu sein.
Nach dem vollständigen Lockdown und Stillstand des kulturellen Lebens haben viele es als Wohltat empfunden, wieder in die Konzertsäle zurückkehren und Live-Musik erleben zu können. Was war das für eine Erfahrung für Sie als Musiker?
Die erste musikalische Veranstaltung, die am Ende der Ausgangsperre in Spanien stattfand, war das „Granada International Music Festival“, das ich mit Beethovens 9. Symphonie eröffnet habe. Es war etwas ganz Besonderes und Emotionales, aber äußerst schwierig, da sowohl die Musiker des Orchesters als auch die Mitglieder des Chores einen Sicherheitsabstand von mindestens zwei Metern einhalten mussten. Können Sie sich
vorstellen, dass mehr als die Hälfte des Hofes des Palastes von Carlos V., in dem das Konzert stattfand, voller Orchestermusiker und Choristen war, die übertrieben weit entfernt voneinander saßen und Schwierigkeiten hatten, sich zu hören? Das Ergebnis war jedoch sehr positiv, es klang sehr gut - auch dank der großartigen Akustik dort, und wir hatten einen durchschlagenden Erfolg.
Jetzt sind wir in Madrid, wo ich auch die Saison 2020/2021 des Teatro Lirico Nacional La Zarzuela eröffnet habe, dem Theater, in dem die Weltpremiere der Oper »Juan Jose« stattfand, über das Ihre Mitarbeiterin Frau Helbig einen sehr schönen Artikel im 'Opernglas' geschrieben hat. Die Werke, die die Saison eröffnet haben, wurden unter dem Titel „Granada“ präsentiert, weil es zwei Werke sind, deren Handlung in dieser Stadt stattfindet, in der ich übrigens geboren bin: »La Tempranica«, eine Zarzuela in einem Akt von Gerönimo Gimenez und »La vida breve« von Manuel de Falla, eine Oper die vermutlich viele kennen werden. Die Regie hat Giancarlo del Monaco geführt, und die Hauptfiguren
wurden von Nancy Fabiola Herrera (»Tempranica«), Ainhoa Arteta und Jorge de Leön (Salud / Paco in »La vida breve«) gesungen.
Ging alles glatt?
Auch diese Produktion war aufgrund von COVID-ıg voller Probleme. Der Direktor des Teatro de la Zarzuela, Daniel Bianco, bat mich, eine Umarbeitung von »La vida breve« vorzunehmen, da er schon im Juni erwartete, was in den Monaten September und Oktober passieren könnte — wie es ja auch geschehen ist. Ich sollte die Orchestrierung reduzieren, da die 96 Musiker des Orchesters in dem Orchestergraben des
Theaters keinen Platz finden würden, wenn sie die Sicherheitsabstände einhalten wollten. Deshalb habe ich den ganzen Sommer über eine neue Orchestrierung des Werkes für 26 Musiker erarbeitet, die mit diesen Sicherheitsabständen maximal möglich sind. Dass die Familie de Falla die Bearbeitung überhaupt zugelassen hat, ist unter der Bedingung geschehen, dass ich derjenige bin, der das Werk bearbeitet und dirigiert. Und
die Familie hat öffentlich erklärt, dass dies nicht auf unsere Freundschaft zurückzuführen sei, sondern auf die Überzeugung, dass ich de Fallas Werk vollkommen treu „bearbeiten“ und dabei sein Wesen und seine Authentizität gegenüber dem Autor bewahren würde, da ich selbst Komponist sei. Es war ein mühsamer Job, aber sehr attraktiv. Als ich fertig war, musste ich auch alle Teile der Musiker kopieren, mit denen ich den ganzen Juli und August an diesem Werk gearbeitet habe. Das Ergebnis war mehr als zufriedenstellend. Ich kenne diese Oper und den Stil
von Manuel de Falla sehr gut, daher konnte ich seine Klangfülle trotz des Einsatzes eines so kleinen Orchesters respektieren und erhalten. Die Erfolge, die wir in jeder Vorstellung erzielen, sind enorm. Wir müssen uns am Ende der Vorstellungen mehr als 25 Minuten lang verbeugen. Dies ist in Spanien ein „rara vis“.
Diese Bearbeitung müsste — wie viele andere reduzierte Fassungen von Opern — aktuell Konjunktur bekommen.
Solange wir die Erlaubnis der Familie Falla haben würden wir uns freuen, »La vida breve« auch in deutschen oder österreichischen Theatern anzubieten. Ich muss nicht unbedingt derjenige sein, der es dirigiert, obwohl ich mich natürlich freuen würde, dies zu tun.
Wie geht es für Sie jetzt weiter?
Vorerst habe ich einige Aufführungen, die im Palau de les Arts in Valencia und Konzerte beim RTVE Symphony Orchestra geplant
sind. Leider nichts mit den Hamburger Symphonikern, obwohl ich dort Ehrendirigent bin. Ich verstehe nicht, warum der enge Kontakt, den wir immer hatten, nicht wieder aufgenommen wird.
Welche Projekte stehen außerdem bei Ihnen an?
Ich übersetze aktuell das Buch „In Richtung des Werks“ von Alessandra Ruiz-Zufiga Macfas. Die spanische Ausgabe wurde am 7. Oktober im Teatro Lirico Nacional La Zarzuela präsentiert, wovon eine Videoaufnahme bearbeitet wird, um in sozialen Netzwerken ausgestrahlt zu werden. Es wurde von meiner Stiftung „Fundaciön Internacional Gömez-Martinez“ in Zusammenarbeit mit der „Sociedad General de Autores“ und dem spanischen Kulturministerium herausgegeben und ist eine sehr sorgfältige Ausgabe, die auch eine CD mit den untersuchten Werken enthält.
Das Buch ist sehr kurz und unterhaltsam und befasst sich mit der „Entlarvung“ der vielen „Gewalttaten“, die die Mehrheit ihrer
Interpreten, sowohl weltberühmte Instrumentalisten als auch Sänger und Dirigenten, gegen musikalische Werke begehen. Es enthüllt auch die Technik, um so etwas zu verhindern, unterstützt von der von Hans Swarowsky eingerichteten Schule der Universität für Musik und darstellenden Kunst in Wien.
Das Opernglas